Hirngesundheit von Frauen: Hormonelle Aspekte beachten!
Obwohl schon lange bekannt ist, dass Frauen in medizinischen Studien unterrepräsentiert sind, werden die biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Therapie und Diagnostik weiterhin wenig berücksichtigt. In einer aktuellen Übersichtsarbeit wurden die Effekte weiblicher Geschlechtshormone im Laufe des Lebens auf die Hirngesundheit am Beispiel der Erkrankungen Depression und Alzheimer genauer beleuchtet.
Sexualsteroide, wie Östrogene und Progesteron, werden zwar in den Ovarien gebildet, üben ihre Wirkungen aber nicht nur auf lokaler Ebene im Bereich der weiblichen Reproduktionsorgane aus, sondern beeinflussen unter anderem auch das Immunsystem, den Knochenstoffwechsel, die Gefäßfunktionen und das Gehirn. Progesteron und Östrogen werden im weiblichen Körper neurotrophe und neuroprotektive Funktionen zugeschrieben und die Hormone wirken auf die neuronale Aktivität über Modulationen des Neurotransmittersystems. Rezeptoren für Sexualsteroide befinden sich in vielen Teilen des Gehirns, einschließlich der Regionen, in denen das Lernen und die Gedächtnisfunktionen lokalisiert sind (Hippocampus), die emotionale Regulation erfolgt (Amygdala) sowie die kognitiven Funktionen verortet sind (präfrontaler Kortex). Die Sekretion der Sexualhormone unterliegt im Laufe des Lebens einer Frau Schwankungen. Man unterscheidet zwischen der prä- und postnatalen Determinierung des biologischen Geschlechts, dem Anstieg der Sexualhormone in der Pubertät, den monatlichen Schwankungen im Rahmen des Menstruationszyklus, dem starken Anstieg in einer Schwangerschaft sowie dem allmählichen Rückgang in der Zeit der Perimenopause. Hinzu kommt häufig eine exogene Steroidhormonexposition, beispielsweise im Rahmen einer hormonellen Kontrazeption bzw. einer Hormonersatztherapie. Die Konzentrationsänderungen der weiblichen Geschlechtshormone im Laufe des Lebens einer Frau lassen sich mit strukturellen und funktionellen Alterationen des weiblichen Gehirns in Zusammenhang bringen.
Ergebnisse
Es liegen epidemiologische Daten zu einem erhöhten Risiko für Morbus Alzheimer bei Patientinnen mit stattgehabten Depressionen vor. Eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber der Entwicklung einer Depression findet sich unter anderem im Rahmen der cerebralen Restrukturierung in der Pubertät: Der Anstieg der Steroidhormonspiegel wurde mit negativen Emotionen und schlechter Laune in Verbindung gebracht. Eine späte Menarche scheint demgegenüber direkt mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko in späteren Lebensjahren assoziiert zu sein. Im Rahmen des Menstruationszyklus leiden ca. 80% aller Frauen unter Stimmungsschwankungen und bis zu 8% entwickeln prämenstruell klinisch feststellbare depressive Symptome. In mehreren Studien konnten Zusammenhänge zwischen der Menstruationsphase und kernspintomographischen Veränderungen bestimmter Hirnstrukturen nachgewiesen werden. So besteht wohl eine Korrelation zwischen hohen Östradiol-Serumspiegeln in der späten Follikelphase und dem Volumen der grauen Masse des Hippocampus sowie dem Volumen der Amygdala. Darüber hinaus konnte eine Arbeitsgruppe bei Frauen während der Ovulation ein jüngeres Gesamthirnalter nachweisen (–1,27 Jahre). Mehrere Studien zeigten, dass die Anwendung hormoneller Kontrazeptiva zwar das Risiko für Depressionen erhöht, die Hirnleistung in späteren Jahren aber zu verbessern scheint.
Auch im Rahmen von Schwangerschaften wurden strukturelle Hirnveränderungen nachgewiesen; diese ähneln denen der Adoleszentenphase. Funktionelle Analysen weisen auf Einbußen der Gedächtnisleistung insbesondere im 3. Trimester hin und konnten Verhaltensänderungen mit vermehrter Empathie und Bindung an das Kind nachweisen. 10–15% aller Schwangeren erkranken an einer postpartalen Depression, was auf den rapiden Abfall der Sexualhormone nach der Entbindung mit Auswirkungen auf den Neurotransmitterstoffwechsel zurückgeführt wird. Zwischen der Anzahl der Schwangerschaften und dem Risiko einer späteren Demenzentwicklung könnte ein U-förmiger Zusammenhang bestehen, mit einem niedrigeren Risiko bei Müttern von 2 Kindern im Vergleich zu Müttern mit >5 Kindern oder kinderlosen Frauen.
Die neuroendokrine Transition in der Perimenopause stellt eine erneute Herausforderung für die weibliche Hirngesundheit dar. Das Risiko für Depressionen ist erhöht und ausgeprägte und langanhaltende Wechseljahresbeschwerden könnten das Risiko für Depression und Demenz erhöhen. Auch in dieser Phase sind strukturelle Hirnveränderungen nachweisbar. Eine vorzeitige Menopause (z.B. durch eine beidseitige Ovarektomie) ist zudem mit einem rascheren kognitiven Abbau und mit einem erhöhten Depressionsrisiko assoziiert. Unklar bleibt bisher der Einfluss einer Hormonersatztherapie in der Perimenopause. Ein frühzeitiger Beginn mit bioidentischen Östrogenen sowie die vaginale bzw. transdermale Applikation könnte in Abhängigkeit von der genetischen Prädisposition der Hirngesundheit zuträglich sein.
In der gesamten Lebensspanne könnte eine größere kumulative Exposition gegenüber Östrogenen vor der Entwicklung einer Alzheimer-Erkrankung schützen. Allerdings ist auch diese Feststellung nicht unumstritten, so die Autoren. Neben den hormonellen Aspekten haben auch Lebensstilfaktoren einen großen Einfluss auf die Hirngesundheit von Frauen und häufig entscheidend dafür, wie gut hormonelle Schwankungen kompensiert werden können.
Fazit:
Sexualhormone beeinflussen die weibliche Hirngesundheit und das Risiko für neurologische Erkrankungen über die gesamte Lebensspanne von Frauen hinweg. Weitere Forschung ist notwendig, um die komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen. Neuropsychiatrische Forschung sollte immer Aspekte des biologischen Geschlechts berücksichtigen, um personalisierte Therapieoptionen auszuloten, so die Autoren.
Quelle:
Franke K. Hirngesundheit von Frauen: Hormonelle Aspekte beachten!. Allgemeinmedizin up2date 2024; 05(01): 7 – 8. doi:10.1055/a-2167-4282
Publikationsdatum: 14. März 2024 (online)
Autor Studienreferat: Franke, Katharina