Therapieresistente Depression
Psychische Störungen
Steckbrief
Therapiersistenz stellt ein häufiges klinisches Problem in der Pharmakotherapie unipolarer Depressionen dar und führt oftmals zu stationär-psychiatrischen Behandlungen. Die Betreffenden leiden unter einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und des Funktionsniveaus im privaten und beruflichen Bereich. Daraus resultieren häufig chronische Verläufe, die zu hohen direkten und indirekten Kosten führen. Die S3-Leitinie Unipolare Depression empfiehlt verschiedene Eskalationsstrategien, wenn zuvor eine Pseudotherapieresistenz ausgeschlossen und entsprechende Dosisanpassungen des initialen Antidepressivums vorgenommen wurden. Hierzu gehören die Augmentation mit Lithium und atypischen Antipsychotika oder die Kombination von Antidepressiva, die blockierend auf präsynaptische Alpha-2-Autorezeptoren wirken (z.B. Mirtazapin). Für die am häufigsten praktizierte Strategie des Wechsels von einem Antidepressivum auf ein anderes ist die Datenlage hingegen unzureichend.
Synonyme
- therapierefraktäre Depression
- Antidepressiva-Non-Response
- Nichtansprechen der Initialtherapie
Keywords
- chronische Depression
- anhaltende Depression
- Dysthymie
- persistierende depressive Störung
Definition
- Bis heute gibt es keine einheitliche Definition der therapieresistenten Depression.
- Weder in der ICD-10 noch im DSM-5 gibt es eine allgemeingültige Definition für den Begriff „therapieresistente Depression“.
- In der Literatur hat sich dennoch folgende klinisch-pragmatische Erklärung nach Thase und Rush [4] durchgesetzt:
Merke Eine verbreitete Definition: Bei Nichtansprechen (Non-Response) auf zwei Behandlungsversuche mit Antidepressiva verschiedener Wirkklassen in jeweils adäquater Dosis und Dauer spricht man von einer therapieresistenten Depression. |
- „Therapieresistenz“ wird demnach nach dem Erfolg der antidepressiven Monotherapie definiert, wobei der Begriff „adäquat“ Spielraum für Interpretation lässt.
- Als adäquate Tagesdosis gilt z.B. für trizyklische Antidepressiva (TZA) 150mg (Amitriptylin), für die selektiven Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) 225mg (Venlafaxin) bzw. 60mg (Duloxetin), für die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 20mg (Citalopram, Fluoxetin und Paroxetin) bzw. 50mg (Sertralin) sowie für Mirtazapin 30mg.
Epidemiologie
- Die Depression ist eine häufig auftretende und zudem häufig rezidivierend und therapieresistent verlaufende psychiatrische Erkrankung, bei der oft chronische Verläufe beobachtet werden.
- Ca. 80% der direkten Behandlungskosten für Depression werden durch Patienten mit therapieresistenter Depression verursacht.
Häufigkeit
- Es fehlen verlässliche epidemiologische Zahlen zur Lebenszeitprävalenz der therapieresistenten Depression.
- Aus Langzeitstudien ist bekannt, dass ca. 15–25% der unipolaren Depressionen chronisch verlaufen.
- Mehr als 50% der Patienten mit einer dysthymen Störung entwickeln im Verlauf zusätzlich eine schwere depressive Episode („Double Depression“) und etwa 25% der Patienten mit einer schweren depressiven Episode haben gleichzeitig eine bestehende Dysthymie.
Merke Aus Zulassungs- und Wirksamkeitsstudien der verschiedenen Antidepressiva ist bekannt, dass ca. ein Drittel bis die Hälfte der Patienten nicht auf eine mehrwöchige Behandlung anspricht. |
- Etwa 50% der Patienten, die nicht auf ein erstes Antidepressivum angesprochen haben, respondieren auch nicht auf ein zweites Antidepressivum, sodass etwa 30% der initialen Patientengruppe therapieresistent bleiben.
- Etwa 15% der Restgruppe zeigen auch nach mehrfachen adäquaten Behandlungsversuchen keine Response.
Altersgipfel
- Therapieresistente depressive Episoden werden mit steigendem Lebensalter wahrscheinlicher, können aber grundsätzlich in jedem Lebensalter auftreten.
- Eine therapieresistente Depression tritt am häufigsten im mittleren Lebensalter auf.
Geschlechtsverteilung
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Bei der therapieresistenten Depression ist das Geschlechterverhältnis 2,5–3:1 (Frauen: Männer).
Prädisponierende Faktoren
- Prädiktoren werden als Risikofaktoren bezeichnet, wenn diese eindeutig vor der Chronifizierung bzw. Resistenzbildung der Depression vorlagen.
- Als assoziierte Faktoren werden diejenigen Prädiktoren bezeichnet, bei denen eine Korrelation zwischen dem Prädiktor und dem chronischen Verlauf gefunden wurde, jedoch unklar blieb, ob diese Ursachen oder Folgen der Chronifizierung bzw. Resistenzbildung waren.
therapieresistente Depression |
chronische Depression |
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Ätiologie und Pathogenese
- Heutzutage geht man bei der Entstehung der therapieresistenten Depression von einer komplexen Interaktion von Umwelt- und genetischen Dispositionsfaktoren aus. Es gibt keine eindeutige Evidenz für spezifische neurobiologische Charakteristika in der Pathogenese der therapieresistenten Depression, jedoch spielen folgende pathophysiologische Mechanismen der Depression bei therapieresistenten Verläufen möglicherweise eine besondere Rolle:
- Hyperaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
- chronische Entzündungsprozesse durch immunologischen Entzündungsmediatoren (Zytokine und Chemokine)
- Effekte auf die intrazelluläre Signaltransduktion (Adenylatzyklase, Inositol-Phosphat-Messenger-System, Arachnidonsäure-Kaskade, Glykogen-Synthetase-Kinase-3-Beta, Proteinkinasen, Protein-Phosphorilisation und G-Proteine)
- reduzierte Neuroplastizität mit reduzierter BDNF-Serumkonzentration (Brain-derived neurotrophic Factor) bei Patienten mit therapieresistenter Depression
Klassifikation und Risikostratifizierung
- Bauer et al. [2] definieren den Begriff Response nach folgenden Kriterien:
- keine Response: ≤25% Reduktion in der Schwere der Initialsymptomatik
- Teil-(Partial-)Response: 26–49% Reduktion in der Schwere der Initialsymptomatik
- Response: ≥50% Reduktion der Schwere der Initialsymptomatik
- Response mit Restsymptomen: Ansprechen mit teilweiser Remission
- Remission: keine depressiven Symptome, definiert anhand des absoluten Skalenwert (abhängig von der jeweiligen Skala)
- Thase und Rush [4] teilt die Therapieresistenz in folgende 5 Stadien ein:
- Stage 0: kein adäquater Therapieversuch
- Stage 1: Non-Response auf einen adäquaten Therapieversuch
- Stage 2: Non-Response auf 2 unterschiedliche Monotherapien mit Antidepressiva unterschiedlichen Wirkprofils
- Stage 3: Stage 2 plus Non-Response auf eine Augmentationsbehandlung
- Stage 4: Stage 3 plus Non-Response auf eine weitere Augmentationsstrategie
- Stage 5: Stage 4 plus Non-Response auf Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
Symptomatik
- Symptome der therapieresistenten Depression sind:
- andauernde Niedergeschlagenheit
- Verlust von Interessen und Freude
- Verminderung von Antrieb und Aktivität
- Konzentrationsminderung, Aufmerksamkeitsdefizite
- reduziertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
- Gefühl der Wertlosigkeit
- übermäßige Schuldgefühle
- negative oder pessimistische Zukunftsperspektiven
- Schlafstörungen (Einschlaf-, Durchschlafstörungen , Früherwachen, Hypersomnie)
- verminderter Appetit
- psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung
Diagnostik
Diagnostisches Vorgehen
Stufe 1
- In Deutschland sind etwa 30 Wirkstoffe in der Gruppe der Antidepressiva zugelassen.
- Wirksamkeitsnachweise liegen für verschiedene trizyklische Antidepressiva (TZA), Monoaminooxidase-(MAO-)Hemmer, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) sowie für noradrenerge, dopaminerge und spezifische serotonerge Antidepressiva vor.
- Vor Beginn einer antidepressiven Pharmakotherapie sollte eine Basisdiagnostik (Anamnese, körperliche Untersuchung, Labor s.u.) durchgeführt werden.
- Ein Therapieerfolg ist erst nach 4–6 Wochen der Behandlung zu bewerten.
- Zur objektivierbaren Überprüfung der Wirksamkeit werden häufig sowohl Fremd- als auch Selbstbeurteilungsfragebögen (z.B. BDI, PHQ-D, HDRS, MADRS) eingesetzt, um den Schweregrad der Symptomatik, den Verlauf und die Response auf die Behandlung festzustellen zu können.
- Im Falle des Ansprechens erfolgt die Fortführung der Therapie als sogenannte Erhaltungstherapie.
Stufe 2
- Im Falle einer Non-Response sollte ein Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) erfolgen.
- Heutzutage existieren für die meisten Antidepressiva optimale therapeutische Wirksamkeitsspiegel (s. aktuelle Konsensus-Leitlinien für Therapeutisches Drug Monitoring in der Psychiatrie der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie).
- Antidepressiva-Serumspiegel müssen als Talspiegel ermittelt werden, lediglich bei Agomelatin, Bupropion, Moclobemid, Paroxetin und Tranylcypromin ist ein TDM nicht sinnvoll.
- Darüber hinaus sollte bei Nicht-Ansprechen weitere Diagnostik zum Ausschluss somatischer Ursachen durchgeführt werden.
- Sollte der Serumspiegel trotz Standarddosis nicht im therapeutischen Bereich liegen, sollte neben einer Non-Compliance differenzialdiagnostisch an eine Resorptionsstörung aufgrund genetisch bedingter unterschiedlicher Aktivität des Cytochrom-P450-Systems gedacht werden.
Stufe 3
-
Sollte weiterhin eine Non-Response vorliegen, stehen verschiedene Eskalationsstrategien zur Behandlung der therapieresistenten Depression zur Verfügung.
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Darüber hinaus sollte eine weiterführende Diagnostik durchgeführt werden.
Anamnese
- Die Anamnese umfasst:
- ausführliche psychiatrische Anamnese inklusive Substanzkonsum
- differenzierte psychopathologische Befunderhebung
- spezifische Anamnese bezüglich somatischer Erkrankungen und Symptome
- Medikamentenanamnese
Körperliche Untersuchung
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Eine körperliche Untersuchung einschließlich der Erhebung eines neurologischen Status ist erforderlich.
Labor
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Die Laboruntersuchung umfasst: Blutbild, Elektrolyte, Transaminasen, Kreatinin, C-reaktives Protein, Thyreoidea-stimulierendes Hormon.
Sonstige Diagnostik
- Darüber hinaus können folgende Laboruntersuchungen erforderlich sein:
- ein Treponema-pallidum-Hämagglutinations-Assay (Lues-Serologie)
- die Bestimmung von Vitamin B12 und Folsäure im Serum
- die Erhebung eines Urinstatus
- ein HIV-Antikörper-Test
Weiterführende Diagnostik
- Gegebenenfalls ist eine weiterführende Diagnostik sinnvoll:
- Elektrokardiogramm
- ggf. kardiologische Diagnostik bei entsprechendem Risikoprofil (Röntgenaufnahme des Thorax, Echokardiografie und 24-h-Elektrokardiogramm)
- Kernspintomografie des Gehirns
- Dopplersonografie der hirnversorgenden Blutgefäße
- neuropsychologische Testung
- Liquoruntersuchung
- molekulargenetische Testung:
- Genotypisierung der Cytochrom-P450-Isoenzyme (können zu niedrige Plasmaspiegel führen)
- ggf. Polymorphismus im ABCB1-Gen (Substrate des p-Glykoproteins, z.B. Citalopram, Escitalopram, Venlafaxin, Sertralin, können bei der hochaktiven Variante die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke verringern)
Differenzialdiagnosen
Hier handelt es sich um eine scheinbare Non-Response auf die Pharmakotherapie, wenn Diagnostik oder Therapie inadäquat waren; mögliche Ursachen sind:
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Anhaltende depressive Verstimmungen können auch eine Negativsymptomatik im Rahmen einer psychotischen Störung sowie einer Schizophrenie oder schizoaffektiven Störung darstellen. |
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Anhaltende depressive Verstimmungen können Begleiterkrankung von somatischen Erkrankungen sein (z.B. multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Schlaganfall, Hypothyreose etc.). Daher ist eine ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung und Labordiagnostik notwendig. |
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Anhaltende depressive Verstimmungen treten häufig komorbid bei Patienten mit Substanzabhängigkeit oder -konsum auf. Hinsichtlich einer zeitlichen Abgrenzung ist hier ist eine genaue Exploration notwendig, ob die depressive Verstimmung nur unmittelbar in Zusammenhang mit dem Substanzkonsum und dessen Entzug in Verbindung steht. Darüber hinaus ist eine ausführliche Medikamentenanamnese notwendig. |
Therapie
Therapeutisches Vorgehen
- Heutzutage wird die Auswahl der Strategie bei Non-Response von Antidepressiva häufig nach dem „Trial-and-Error-Prinzip“ durchgeführt. Daraus resultieren oft eine verlängerte Behandlungsdauer und suboptimale Behandlungsergebnisse.
- Für die Behandlung der Depression wird daher das Vorgehen nach einem strukturierten Algorithmus (z.B. Stufenplan mit Eskalationsstrategien bei nicht ausreichender Response; Abb. 21.1) empfohlen. Studien haben gezeigt, dass eine konsequente algorithmusgestützte Behandlung zu kürzerer Behandlungsdauer, weniger Medikationswechsel bis hin zur Erreichung einer Remission der Depression sowie auch weniger Behandlungskosten führt.
- Bei Non-Response sollte zunächst eine Überprüfung der Adhärenz und des Serumspiegels in Form eines therapeutischen Drug Monitoring (Diagnostik Stufe 2) vorgenommen werden.
- Sind keine Gründe erkennbar, erfolgt je nach Verträglichkeit eine Dosiserhöhung in der Gruppe der TZA und Venlafaxin sowie eingeschränkt auch für Tranylcypromin. Diese Empfehlung gilt nicht für SSRI. Bei dieser Wirkstoffklasse konnte keine verbesserte Wirksamkeit nach Erhöhung gezeigt werden.
Abb. 21.1 Behandlungsalgorithmus zur Behandlung der therapieresistenten Depression
Therapeutisches Vorgehen bei partiellem oder vollständigem Nichtansprechen auf eine initiale antidepressive Therapie gemäß der aktualisierten Fassung der S3-Leitlinie Unipolare Depression [3].
Allgemeine Maßnahmen
- Mögliche Ursache und Interventionsmöglichkeit für Non-Response auf Antidepressiva sind:
- bei zu kurzer Behandlung: mindestens 4–6 Wochen konsequente Therapie mit adäquater Dosis
- bei zu niedriger Dosierung: Dosierung erhöhen
- bei zu niedrigem Plasmaspiegel: Compliance überprüfen; genetischen Metabolisiererstatus ermitteln (weiterführende Diagnostik)
- bei mangelnder Compliance: Psychoedukation verstärken, mögliche Compliancebarrieren identifizieren, mögliche Nebenwirkungen besprechen und wenn möglich Gegenmaßnahmen treffen
- bei Nichtbeachtung von psychiatrischen Differenzialdiagnosen: erneute Exploration und konsekutive Umstellung bzw. Ergänzung entsprechender Behandlungen
- bei Vorhandensein somatischer Erkrankung: diagnostische Maßnahmen durchführen und bei Bestätigung entsprechende Behandlung einleiten
- bei fehlender Berücksichtigung psychosozialer Stressoren: Ergreifen entsprechender Maßnahmen (Psychotherapie, Sozialarbeit)
Psychotherapie
- Entscheidend für eine langfristige Therapie der Depression ist nicht nur eine individuell angepasste Pharmakotherapie, sondern darüber hinaus Psychoedukation und regelmäßiges Adhärenzmonitoring.
- Es liegen Wirksamkeitsnachweise für nicht therapieresistente und nichtchronische Depression für kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle Psychotherapie und psychodynamische Psychotherapie vor.
- Spezielle und an das Störungsbild der chronischen Depression individuell angepasste Verfahren gewinnen immer mehr an Bedeutung. Hierzu gehört die Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP). Sie ist ein manualgestütztes Verfahren, welches behaviorale, kognitive und interpersonelle Strategien miteinander integriert anwendet.
- Die Psychotherapieverfahren sind immer als Add-on zur Pharmakotherapie und nichtmedikamentösen Verfahren einzusetzen.
Pharmakotherapie
- Zeigt sich nach 4 (bzw. 6 Wochen bei älteren Patienten) trotz durchgeführter allgemeiner Maßnahmen kein Ansprechen auf die Medikation, stehen folgenden Strategien zur Verfügung (nach [3]):
- Lithiumaugmentation hat gute Wirksamkeitsbelege und ist somit eine Therapieoption zur Behandlung der therapieresistenten Depression.
- Augmentation mit Antipsychotika der zweiten Generation (Aripiprazol, Olanzapin, Risperidon: Off-Label-Use; Quetiapin: zugelassen) haben sich in Studien ebenfalls als wirksam erwiesen.
- Kombination von 2 Antidepressiva mit unterschiedlichen Wirkprofilen („Kombination“: hier am ehesten Miratzapin und Mianserin).
- Wechsel des Antidepressivums zu einem Medikament mit unterschiedlichem Wirkprinzip („Switching“) sollte nachrangig angewendet werden. Als sinnvolle Option vor einer Elektrokonvulsionstherapie (EKT) hat sich der irreversible MAO-Hemmer Tranylcypromin (TCP) bei der Behandlung der therapieresistenten Depression herausgestellt.
- Nicht kompetitiver N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDAR)-Antagonisten Ketamin hat sich in den letzten Jahren zunehmend als potenzielle therapeutische Option für die Behandlung der therapieresistenten Depression etabliert. Er hat ein glutamaterges Wirkprinzip und wirkt in subanästhetischen Dosen als schnell wirksames Antidepressivum. Das s-Razemat Esketamin ist als intranasale Anwendung bei Erwachsenen mit therapieresistenter Major Depression zugelassen.
- Die Unterbrechung oder Beendigung der medikamentösen Therapie stellt eine weitere Behandlungsoption dar, wobei die Anzahl der Therapielinien, bevor diese Option in Betracht gezogen wird, individuell unterschiedlich sein kann, d.h. es müssen nicht alle anderen Strategien ausgeschöpft worden sein.
(Es-)Ketamin |
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Dopamin– und Noradrenalin-Ausschüttungs- und Wiederaufnahmehemmung |
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Dopamin(D2)-Agonist |
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Dopamin(D1/D2)-Agonist |
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L-Thyroxin (L-T4) |
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Östrogen (nur Frauen) |
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Ketoconazol, Metyrapon |
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NMDAR: nicht kompetitiver N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor, 5-HT: 5-Hydroxytryptamin (= Serotonin) |
Praxistipp Bei der Behandlung mit Lithium sollten die Patienten über die geringe therapeutische Breite und der Gefahr eine Lithiumintoxikation aufgeklärt werden [3]. Empfehlung zum Lithiumserumspiegel: 0,6–1,0mmol/l, anfangs wöchentlich bestimmen und bei stabiler Langzeitbehandlung mindestens 1×/Vierteljahr. Cave: Diuretika, ACE-Hemmer und nichtsteroidale Antiphlogistika (außer Acetylsalicylsäure) erhöhen den Lithium-Serumspiegel (z.T. gefährlich). |
Praxistipp Bei der Behandlung mit einem irreversiblen MAO-Hemmer wie Tranylcypromin ist das Einhalten einer tyraminarmen Diät notwendig. Die Patienten sollten über die bestehenden Risiken bei Diätfehlern, wie z.B. hypertensive Krisen, aufgeklärt werden. Kontraindikation bei der Kombination von MAO-Hemmern mit SSRI oder SNRI bestehen aufgrund des erhöhten Risikos für das Auftreten eines Serotoninsyndroms. |
Interventionelle Therapie
- Die elektrokonvulsive Therapie (EKT) ist ein gut bekanntes und etabliertes Verfahren bei der Behandlung schwerer und therapieresistenter Depression. Es werden 6–12 Sitzungen in Abständen von 2–3 Tagen empfohlen (zunächst in rechts unilateraler Stimulation und bei Nicht-Ansprechen bilaterale Stimulation). Als Erhaltungstherapie ist eine Gesamtdauer von 6 Monaten mit zunehmenden Behandlungsintervallen von einmal wöchentlich bis einmal im Monat anzuwenden.
- Die repetitive transkranielle Magnetstimulation des dorsolateralen präfrontalen Kortex ist eine Option, die bei fehlendem Ansprechen auf eine antidepressive Pharmakotherapie zu verzeichnen war.
- Die nichtmedikamentösen Therapieverfahren sind immer als Add-on zur Pharmakotherapie und Psychotherapie einzusetzen.
Verlauf und Prognose
Verlaufskontrolle
- Erfolgt die Behandlung mit Antidepressiva oder Antipsychotika, wird eine regelmäßige Untersuchung des Blutbildes und der Leberwerte empfohlen.
- Regelmäßige EKG-Kontrollen, insbesondere auch nach Erhöhung der Dosierung und orientierend am Risikoprofil, sind aufgrund der Gefahr von Blockbildungen und Arrhythmien unter TZA und wegen des erhöhten Risikos der QTc-Zeit-Verlängerung unter SSRI empfohlen.
- Bei der Behandlung mit Lithium sind zusätzlich regelmäßige Kontrollen der Elektrolyte (inkl. Kalzium), der Kreatinin- und der Schilddrüsenwerte (TSH, T3, T4) sowie des Lithiumspiegels notwendig.
- Regelmäßige Gewichtskontrollen sollten unter Lithium, Quetiapin, Olanzapin, Mirtazapin und vielen TZA erfolgen.
- Zur Erkennung von Neurotoxizität kann ein Elektroenzephalogramm hilfreich sein (insbesondere bei geriatrischen Patienten).
Rezidivrisiko
- Das Krankheitsbild der Depression ist sehr heterogen, von hohen Rückfallraten bzw. Wiederauftreten weiterer depressiver Episoden geprägt (Abb. 21.2) und kann in einer Chronifizierung der Symptomatik resultieren.
- Betroffene durchleben während ihres Lebens durchschnittlich 4 Episoden. Die durchschnittliche Episodendauer beträgt abhängig vom Schweregrad bei behandelter Depression ca. 16 Wochen.
- Subsyndromale Symptome können zwischen den einzelnen Episoden auftreten. Diese depressive Symptomatik persistiert bei etwa jedem 5. Patienten.
- Die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv liegt im ersten Jahr bei 30–40% und steigt im zweiten Jahr auf 50%. Bei mehr als 3 Episoden steigt die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Episode auf 90%.
- Die Lithiumaugmentation zeigt in einer Metaanalyse eine durchschnittliche Responserate von 41,2% (versus 14,1% in der Placebogruppe), das entspricht einer Number needed to treat (NNT) von 5. Besonders gut belegt ist die antisuizidale Wirkung von Lithium in prospektiven kontrollierten Studien. Es zeigt sich eine Reduktion der Suizidversuche um 85%.
- Nach Remission durch eine Behandlung mit Elektrokonvulsionstherapie zeigt sich aufgrund der Chronizität und Therapieresistenz eine hohe Rückfallrate von 50–95% innerhalb von 6–12 Monaten.
- Prädiktoren für ein Rezidivrisiko sind [2]:
- Residualsymptomatik während der Erhaltungstherapie
- rezidivierende Depression (≥3 Episoden in der Vergangenheit)
- hohe Rezidivraten (≥2 Episoden in den letzten 5 Jahren)
- bereits eine Episode innerhalb des letzten Jahres
- Dauer und Schweregrad der Episode (Suizidalität, psychotische Symptomatik)
- anamnestisch bekanntes Rezidiv nach Absetzen der Medikation
- psychische Komorbiditäten wie Angsterkrankung oder Substanzabhängigkeit
- positive Familienanamnese für affektive Erkrankungen bei Verwandten 1. Grades
- Ersterkrankungsalter vor dem 30. Lebensjahr.
Abb. 21.2 Verlauf der Depression.
Erkrankungs- und Behandlungsverlauf einer Depression in den Phasen Akuttherapie, Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe. (Quelle: Buspavanich König C, Adli M. Rezidivprophylaxe der Depression Pharmakologie. PSYCH up2date 2020; 14: 1–12)
Prävention
- Eine prophylaktische medikamentöse Behandlung wird je nach Vorgeschichte und Ausmaß der Therapieresistenz bis zu 2 Jahre nach Remission (ggf. auch länger) empfohlen und sollte sowohl an die Bedürfnisse des Patienten, als auch den individuellen Krankheitsverlauf angepasst werden, um das Wiederauftreten von neuen depressiven Episoden und eine Chronifizierung der Symptomatik zu verhindern.
- Nach Möglichkeit sollte jenes Antidepressivum präferiert werden, welches sich in der Akut- und Erhaltungstherapie als wirksam erwiesen hat. Bei vorausgegangenen Suizidversuchen wird eine Lithiumaugmentation als Rezidivprophylaxe empfohlen.
Cave Das Absetzen von Antidepressiva oder Lithium sollte insbesondere nach einer Langzeitmedikation von über 6 Monaten schrittweise erfolgen, um Absetzsymptomen vorzubeugen (mögliche Absetzphänomene: Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Parästhesien, Depersonalisationserlebnisse und Gereiztheit). |
Besonderheiten bei bestimmten Personengruppen
Besonderheiten bei alten Patienten
- Das Risiko einer Chronifizierung ist bei Patienten mit Ersterkrankung nach dem 60. Lebensjahr am höchsten und steigt insbesondere bei einer stärkeren Ausprägung der depressiven Symptomatik und einer höheren Anzahl von Komorbiditäten.
- Zur Depressionsdiagnostik stehen spezifische geriatrische Erhebungsinstrumente zur Verfügung, z.B. die Geriatric Depression Scale (GDS).
- Bei der Anidepressiva-Initialtherapie der Depression im höheren Lebensalter werden als Therapie der ersten Wahl SSRI und SNRI empfohlen.
- Bei geriatrischen Patienten kann eine verzögerte Response eintreten, daher sollte die Initialtherapie des Antidepressivums für mindestens 6 Wochen durchgeführt werden.
- Nebenwirkungen bei geriatrischen Patienten umfassen u.a. anticholinerge Effekte einschließlich einer Verstärkung kognitiver Defizite.
- Bei kognitiven Defiziten muss differenzialdiagnostisch sowohl an eine Pseudodemenz als auch eine Alzheimer-Demenz gedacht werden. Hier sind neuropsychologische Testung (Screening mit Mini-Mental-Status-Test, MMSE) und ggf. Lumbalpunktion (Beta-Amyloid 1–40 und 1–42 sowie Phospho-Tau und TAU-Protein) sowie eine Bildgebung vom Gehirn zur Beurteilung der strukturellen Hirnveränderungen notwendig. Bei Verdacht auf einen demenziellen Prozess hat heutzutage die Positronenemissionstomografie (PET) zunehmend an Bedeutung gewonnen, die mit spezifischen Verfahren den Nachweis zerebraler Beta-Amyloid-Ablagerungen („Amyloid-PET“) erbringen kann.
- Es gibt nur wenige Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit der Lithiumaugmentation bei älteren Patienten mit therapieresistenter Depression, die aber insgesamt vielversprechende Ergebnisse zeigen. Daher sollte bei Non-Response eine sorgfältige Prüfung des individuellen Risikos die Augmentation mit Lithium als eine mögliche Strategie zur Behandlung der Therapieresistenz in Erwägung gezogen werden.
- Die Elektrokrampftherapie ist auch bei geriatrischen Patienten über 65 Jahren eine hochwirksame Behandlungsstrategie zur Behandlung der Therapieresistenz. Zur Risikoabschätzung muss das allgemeine Narkoserisiko bei geriatrischen Patienten mit in Betracht gezogen werden.
Literatur
Quellenangaben
-
[1] Bauer M, Adli M. Pharmakotherapie von chronischen und therapieresistenten depressiven Störungen. In: Voderholzer U, Hohagen F, Hrsg. Therapie psychischer Erkrankungen. 15.Aufl. München: Urban & Fischer (Elsevier); 2020
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[2] Bauer M, Severus E, Köhler S et al. World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines for biological treatment of unipolar depressive disorders. Part 2: Maintenance treatment of major depressive disorder – update 2015. World J Biol Psychiatry 2015; 16: 76–95. doi: 10.3109/15622975.2014.1001786
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[3] BÄK, KBV, AWMF. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungs-Leitlinie Unipolare Depression – Langfassung. 1. Aufl. 2022. Im Internet: https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-005l_S3_Unipolare-Depression_2023-07.pdf; Stand: 11.06.2024
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[4] Thase ME, Rush, AJ. Treatment resistant depression. In: Bloom FE, Kupfer DJ, Hrsg. Psychopharmacology: The Fourth Generation of Progress. New York: Raven Press Ltd.; 1995
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[5] Buspavanich P, Ricken R. Lithiumaugmentation. In: Bauer M, Berghöfer A, Brakemeier EL, Adli M, Hrsg. Therapieresistenz bei Depressionen und bipolaren Störungen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2022.
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Literatur zur weiteren Vertiefung
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- Adli M, Wiethoff K, Baghai TC et al. How Effective Is Algorithm-Guided Treatment for Depressed Inpatients? Results from the Randomized Controlled Multicenter German Algorithm Project 3 Trial. Int J Neuropsychopharmacol 2017; 20: 721–730
- Bschor T, Bauer M, Adli M Chronic and treatment resistant depression: diagnosis and stepwise therapy. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 766–775; quiz 775. doi: 10.3238/arztebl.2014.0766
- Bschor T, Kern H, Henssler J et al. Switching the Antidepressant After Nonresponse in Adults With Major Depression: A Systematic Literature Search and Meta-Analysis. J Clin Psychiatry 2018; 79. doi: 10.4088/JCP.16r10749
- Buckman JEJ, Underwood A, Clarke K et al. Risk factors for relapse and recurrence of depression in adults and how they operate: A four-phase systematic review and meta-synthesis. Clin Psychol Rev 2018; 64: 13–38. doi: 10.1016/j.cpr.2018.07.005
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- Pruckner N, Holthoff-Detto V. Antidepressant pharmacotherapy in old-age depression-a review and clinical approach. Eur J Clin Pharmacol 2017; 73: 661–667. doi.org/10.1007/s00228–017–2219–1
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- Rush AJ, Kraemer HC, Sackeim HA et al. Report by the ACNP Task Force on response and remission in major depressive disorder. Neuropsychopharmacology 2017; 31: 1841–1853. doi: 10.1038/sj.npp.1301131
- Voineskos D, Daskalakis ZJ, Blumberger DM Management of Treatment-Resistant Depression: Challenges and Strategies. Neuropsychiatr Dis Treat 2020; 16: 221–234. doi: 10.2147/NDT.S198774
Literatur zur weiteren Vertiefung
- Stiftung Deutsche Depressionshilfe: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start